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anderen Welt zu kommen. Doch davon abgesehen war alles
real, die Luft strömte nicht in ihre Lungen, ihre Muskeln
gehorchten ihr nicht, aber ihr Bewußtsein verließ sie nicht.
Sie spürte, wie jemand sie packte und auf den Rücken
drehte, doch jetzt hatte sie die Kontrolle über die Bewegungen
ihrer Augen verloren, die kreisten und Hunderte von
verschiedenen Bildern an ihr Gehirn sandten und das Gefühl
des Erstickens mit einem visuellen Chaos vermischten.
Ganz allmählich entfernten sich auch die Bilder, und als
die Todesqualen ihren Höhepunkt erreicht hatten, kam endlich
die Luft mit einem so fürchterlichen Rasseln herein, daß alle
im Saal vor Angst wie gelähmt waren.
Veronika würgte und übergab sich hemmungslos. Nach-
dem der lebensbedrohliche Moment vorbei war, begannen
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ein paar Verrückte zu lachen, und sie fühlte sich erniedrigt,
verloren, außerstande zu reagieren.
Ein Krankenpfleger kam herbeigelaufen und gab ihr eine
Spritze in den Arm.
»Beruhigen Sie sich. Es ist vorbei.«
»Ich bin nicht gestorben!« begann sie zu schreien, indem
sie auf die anderen Patienten zuging und den Boden und die
Möbel mit ihrem Erbrochenen beschmutzte. »Ich bin immer
noch in dieser verdammten Anstalt, gezwungen, mit euch
zusammenzuleben! Muß jeden Tag und jede Nacht
tausend Tode sterben, und niemand hat Erbarmen mit mir!«
Sie wandte sich an den Krankenpfleger, riß ihm die
Spritze aus der Hand und warf sie in den Garten.
»Was wollen Sie? Warum spritzen Sie mir kein Gift, wo
Sie doch wissen, daß ich zum Tod verurteilt bin. Wo sind
Ihre Gefühle?«
Sie konnte sich nicht mehr beherrschen, setzte sich wieder
auf den Boden und begann heftig zu weinen, schrie,
schluchzte, während einige der Mitpatienten lachten und
sich über ihre schmutzige Kleidung lustig machten.
»Geben Sie ihr ein Beruhigungsmittel!« sagte eine Ärztin,
die hereingerannt kam. »Bringen Sie die Lage unter
Kontrolle!«
Der Krankenpfleger war jedoch wie gelähmt. Die Ärztin
lief wieder hinaus, kam mit zwei weiteren Krankenpflegern
und einer Spritze zurück. Die Männer packten das hysteri-
sche Wesen, das sich mitten im Aufenthaltsraum heftig
wehrte, während ihr die Ärztin das Beruhigungsmittel bis
zum letzten Tropfen in die Ader ihres beschmutzten Armes
spritzte.
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lag im Sprechzimmer von Dr. Igor auf einem makellos
weißen Bett mit einem frischen Laken.
Er horchte ihr Herz ab. Sie tat so, als schliefe sie noch,
doch irgend etwas in oder an ihr mußte sich geändert ha-
ben, weil der Arzt plötzlich so redete, als wüßte er, daß sie
ihm zuhörte.
»Keine Angst«, sagte er. »Bei Ihrer Gesundheit werden
Sie hundert Jahre alt.«
Veronika öffnete die Augen. Jemand hatte ihre Kleider
gewechselt. War es Dr. Igor gewesen? Hatte er sie nackt ge-
sehen? Ihr Kopf arbeitete noch nicht normal.
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe gesagt, Sie sollen keine Angst haben.«
»Nein. Sie haben gesagt, ich würde hundert Jahre alt wer-
den.«
Der Arzt ging zu seinem Schreibtisch.
»Sie haben gesagt, ich würde hundert Jahre alt werden«,
hakte Veronika nach.
»In der Medizin ist nichts endgültig«, wiegelte Dr. Igor
ab. »Alles ist möglich.«
»Wie geht es meinem Herzen?«
»Genau wie vorher.«
Dann brauchte sie nichts weiter. Die Ärzte sagen ange-
sichts eines schwierigen Falles, >Sie werden hundert Jahre
altDas ist nichts ErnstesSie haben das Herz
und den Blutdruck eines KindesWir müssen die
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Untersuchung wiederholen
tienten könnten ihnen die Praxis zertrümmern.
Sie versuchte aufzustehen, doch es ging nicht: Das Zim-
mer begann sich zu drehen.
»Bleiben Sie noch einen Augenblick liegen, bis Sie sich
besser fühlen. Sie stören mich nicht.«
Wie gut, dachte Veronika. Und wenn es nun doch nicht
so wäre?
Als erfahrener Arzt schwieg Dr. Igor eine geraume Weile
und tat so, als läse er einige Papiere, die auf seinem Schreib-
tisch lagen. Wenn wir mit jemandem zusammen sind und
die andere Person nichts sagt, wird das allmählich irritie-
rend, angespannt, unerträglich. Dr. Igor hoffte, das Mäd-
chen würde zu sprechen beginnen, damit er Angaben für
seine These über die Verrücktheit und die Behandlungsme-
thode sammeln konnte, die er gerade entwickelte.
Doch Veronika sagte kein Wort. >Vielleicht ist sie ja schon
zu sehr mit Vitriol vergiftet
sich entschloß, das Schweigen zu brechen, das bedrückend,
irritierend, unerträglich wurde.
»Mir scheint, Sie spielen gern Klavier«, sagte er und ver-
suchte dabei so beiläufig wie möglich zu klingen.
»Und die Verrückten hören gern zu. Gestern hatte ich
einen, der war völlig hin und weg.«
»Eduard. Er hat jemandem gesagt, er habe es wunderbar
gefunden. Wer weiß, vielleicht ißt er ja wieder wie normale
Menschen.«
»Ein Schizophrener, der Musik mag? Und das den anderen
erzählt?«
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»Ja. Und ich wette, daß Sie keine Ahnung haben, was Sie
da gerade sagen.«
Dieser Arzt, der mit seinen schwarz gefärbten Haaren
eher wie ein Patient wirkte, hatte recht. Veronika hatte das
Wort häufig gehört, wußte aber nicht, was es bedeutete.
»Kann das geheilt werden?« fragte sie und hätte gern
mehr über Schizophrenie erfahren.
»Man kann es unter Kontrolle bringen. Noch weiß man
nicht genau, was in der Welt der Verrückten geschieht. Alles ist
neu, und die Therapie ändert sich alle zehn Jahre. Ein
Schizophrener ist jemand, der eine natürliche Neigung dazu
hat, sich aus dieser Welt zu entfernen, bis irgend etwas - das je
nach Fall schwerwiegend oder nebensächlich sein kann -
dazu führt, daß er sich eine Realität nur für sich allein
schafft. Der Fall kann sich bis zu vollkommener Abwesenheit
entwickeln. Das nennen wir dann Katatonie. Oder es gibt
eine Besserung, die dem Patienten erlaubt zu arbeiten, ein
praktisch normales Leben zu führen. Das hängt allein von
der Umwelt ab.«
»Eine Realität nur für sich allein schaffen«, wiederholte
Veronika. »Was ist denn überhaupt Realität?«
»Sie ist das, von dem die meisten glauben, daß sie so sein
sollte. Nicht unbedingt besser, nicht logischer, doch den
kollektiven Wünschen angepaßt. Sehen Sie, was ich da um
den Hals trage?«
»Eine Krawatte.«
»Sehr gut. Ihre Antwort ist logisch, kohärent, die eines
ganz normalen Menschen: eine Krawatte!
Ein Verrückter würde jedoch sagen, daß ich ein buntes,
lächerliches, nutzloses, auf komplizierte Weise geschlunge-
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nes Stück Stoff um den Hals trage, das die Beweglichkeit
des Kopfes einschränkt und uns zwingt, tiefer zu atmen, damit
Luft in die Lungen gelangt. Wenn ich in der Nähe eines
Ventilators bin und nicht aufpasse, kann dieses Stück Stoff
mich erwürgen.
Wenn ein Verückter mich fragt, wozu eine Krawatte gut
ist, muß ich ihm antworten: zu überhaupt nichts. Nicht
einmal zum Verschönern, weil sie heute zum Symbol der
Versklavung, der Macht, der Distanz geworden ist. Die
Nützlichkeit der Krawatte besteht darin, nach Hause zu
kommen und sie abzunehmen und das Gefühl zu genießen,
daß wir uns von etwas befreit haben, von dem wir nicht einmal
wissen, was es ist.
Doch rechtfertigt dieses Gefühl der Erleichterung die
Krawatte? Nein. Dennoch wird, wenn ich einen Verrückten
und einen normalen Menschen frage, was das ist, derjenige
als gesund erachtet werden, der mir antwortet: eine
Krawatte. Gleichgültig, wer es richtig sieht oder wer recht
hat.«
»Das heißt, Sie haben aus meiner Antwort geschlossen,
daß ich nicht verrückt bin, denn ich habe den richtigen Namen
dieses bunten Stücks Stoff angegeben.«
>Nein, du bist nicht verrückt
diesem Gebiet eine Autorität war und an dessen Sprech-
zimmerwänden mehrere Diplome hingen. Sich gegen das
eigene Leben vergehen, das war etwas Menschliches. Er
kannte viele Menschen, die das getan hatten, und dennoch
weiterhin dort draußen lebten, Unschuld und Normalität
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